Morbus Fabry

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Brennende Schmerzen an Händen und Füßen, Hautläsionen, Erbrechen, Diarrhoen, Hörverlust und Hornhautveränderungen am Auge – das sind typische Frühsymptome des Morbus Fabry, einer genetisch bedingten lysosomalen Speicherkrankheit, die durch eine Enzymersatztherapie zu behandeln ist, allerdings oft erst sehr spät richtig diagnostiziert wird.


Beim Morbus Fabry handelt es sich um eine schwerwiegende Erkrankung, die lebensbedrohliche Schädigungen von Herz, Nieren, weiteren Organen sowie des Zentralnervensystems (ZNS) verursacht, jedoch wenig bekannt ist und meist entsprechend spät diagnostiziert wird. Die Störung, die auf einer X-chromosomal vererbten Speicherkrankheit beruht, gilt allgemein als seltene Erkrankung.

 

Sie findet sich weltweit in praktisch allen Bevölkerungsgruppen, wobei die Häufigkeit auf 1 : 40 000 bis 1 : 100 000 Neugeborene geschätzt wird. In Deutschland wird derzeit offiziell von rund 700 Betroffenen ausgegangen. Allerdings wird eine hohe Dunkelziffer vermutet, da die Erkrankung längst nicht immer adäquat diagnostiziert wird. Sie ist zudem neueren Erhebungen zufolge häufiger als bislang angenommen. Das zeigt eine Screeninguntersuchung bei Neugeborenen, bei der aktuell eine Inzidenz von 1 : 3 100 ermittelt wurde. Damit dürften tatsächlich rund 26 000 Menschen in Deutschland von der Erkrankung betroffen sein.

Diese wird allerdings häufig als „rheumatische Erkrankung“ oder als neurologische Störung fehldiagnostiziert, da Schmerzen im Vordergrund der Symptomatik stehen. So dauert es nach Angaben der Morbus Fabry Selbsthilfegruppe e. V. (MFSH) im Mittel zwölf Jahre, ehe die richtige Diagnose feststeht, und in rund 25 Prozent der Fälle wird zunächst eine falsche Diagnose gestellt. Bei Kindern werden die Schmerzen vor allem häufig als „Wachstumsschmerz“ fehlinterpretiert.

Erstmals beschrieben wurde der Morbus Fabry Ende des 19. Jahrhunderts parallel, aber unabhängig voneinander von zwei Dermatologen, dem Deutschen Johannes Fabry sowie dem Engländer William Anderson. Die Erkrankung wurde zunächst als Fabry-Krankheit oder Fabry-Anderson-Krankheit bezeichnet, inzwischen hat sich der Name Morbus Fabry etabliert. Es handelt sich um eine von mehr als 40 bekannten genetisch bedingten sogenannten lysosomalen Speicherkrankheiten. Bei diesen Krankheiten kommt es zu Störungen im lysosomalen Abbau von Stoffwechselprodukten, wodurch sich Zwischen- und Endprodukte der Abbaukette in verschiedenen Organsystemen ablagern.

 

Enzymmangel als Krankheitsgrundlage

Basis des Morbus Fabry ist ein Mangel des lysosomalen Enzyms Alpha-Galaktosidase infolge einer oder mehrerer Genmutationen auf dem langen Arm des X-Chromosoms. Bislang wurden mehr als 400 Mutationen beschrieben, die den Gendefekt verursachen können.

Dieser hat zur Folge, dass Glykosphingolipide in der Zellmembran nicht abgebaut werden können. Dadurch kommt es in verschiedenen Geweben zur Akkumulation und Ablagerung von Lipiden und speziell von Globotriaosylceramiden (Gb3). Von der Lipidspeicherung in den Zell-Lysosomen sind besonders häufig Endothelzellen, Kardiomyozyten wie auch Nervenzellen betroffen, was die Vielfalt der möglichen Symptome und Funktionsverluste erklärt. So kann sich der Morbus Fabry primär auf kardiovaskulärer, renaler oder zerebrovaskulärer Ebene manifestieren.

Durch die zunehmende Lipidakkumulation nimmt die Erkrankung einen progredienten Verlauf. Den Betroffenen drohen multiple Organschädigungen mit entsprechend hoher Morbidität und auch Mortalität. Die Lebenserwartung von Männern ist dadurch im Durchschnitt um 20 und von Frauen um 15 Jahre kürzer als bei der Normalbevölkerung, wobei ein Nierenversagen, eine Kardiomyopathie sowie zerebrovaskuläre Ereignisse die Haupttodesursache darstellen. Unbehandelt versterben Männer mit Morbus Fabry im Mittel mit 55 und Frauen mit 60 Jahren.

 

Männer und Frauen gleichermaßen betroffen

Die Erkrankung tritt trotz X-chromosomaler Vererbung des Defektes nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen auf, berichtete Professor Dr. Arndt Rolfs, Rostock, kürzlich bei der Neurowoche in Mannheim. Denn auch wenn zwei X-Chromosomen vorliegen, kann ein Defekt, der auf einem der beiden Chromosomen lokalisiert ist, laut Rolfs nicht unbedingt durch das zweite Chromosom kompensiert werden.

Vielmehr gibt es hinsichtlich der Aktivität ein dominantes und ein untergeordnetes X-Chromosom. Ist das dominante X-Chromosom von dem Defekt betroffen, wird bei Frauen der Morbus Fabry manifest, wenn auch häufig mit weniger schwerem Verlauf und in deutlich höherem Lebensalter als bei Männern. Davon abgesehen ist zu beachten, dass verschiedene Verlaufsformen möglich sind. So gibt es Krankheitsfälle mit leichteren Erscheinungsformen, die auf wenige Organe beschränkt sind und praktisch erst im höheren Lebensalter manifest werden sowie Krankheitsfälle mit sehr schwerem Verlauf und bereits frühzeitigem Auftreten von Organschäden durch die Lipidakkumulation in den Zellen.

Hinsichtlich der Vererbung ist zu bedenken, dass eine Frau, die Trägerin des Gendefektes ist, diesen statistisch an 50 Prozent ihrer Kinder – Söhne wie Töchter gleichermaßen – weitergeben wird. Ein Mann, der Merkmalsträger ist, wird hingegen gesunde Söhne haben, jedoch werden alle Töchter Trägerin des Gendefektes sein, da von den betroffenen Vätern mit dem X-Chromosom stets der Gendefekt an die Tochter weitergegeben wird.

Schmerzen als Hauptsymptom

Die sich aus dem Gendefekt ergebende Symptomatik ist beim Morbus Fabry vielgestaltig, was dadurch bedingt ist, dass die Störung in den verschiedenen Geweben unterschiedlich ausgeprägt ist. Oft stehen brennende Schmerzen an den Händen und Füßen (Akroparästhesien), die Folge einer „Small-Fibre-Neuropathie“ sind, im Vordergrund und machen den Betroffenen das Leben regelrecht zur Hölle. Rund 70 bis 80 Prozent der Patienten geben neuropathische Schmerzen an, wobei es meist lebenslang immer wieder zu langen Phasen schmerzhafter Krisen und unter Umständen auch zu chronischen Schmerzen kommt. Die Schmerzen verschlimmern sich oft bei körperlicher Anstrengung, also zum Beispiel beim Sport, bei Stress und bei Temperaturschwankungen.

Sie werden durch die Akkumulation von Gb3 in den Nervenzellen verursacht. Es kommt dabei vor allem zu Veränderungen in den Nervenfasern, die für die Leitung von Schmerz- und Temperaturempfindungen verantwortlich sind.

 

Vielfältige Symptomatik

Neben Schmerzen leiden die Betroffenen infolge der Multisystemerkrankung oft auch unter gastrointestinalen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoen. Auch können als Folge der Akkumulation von Gb3 krampfartige Bauchschmerzen auftreten. Dies geschieht vor allem nach den Mahlzeiten. Die Beschwerden werden allerdings oftmals als Reizdarmsyndrom oder sogar als chronisch entzündliche Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa fehldiagnostiziert.

Häufig besteht ferner eine Wärmeintoleranz, da die Schweißbildung gegenüber Gesunden eingeschränkt ist. Patienten mit Morbus Fabry vertragen deshalb meist Hitze schlecht. Es kann außerdem zum Auftreten von Hautläsionen kommen. Typisch sind Angiokeratome, punktförmige dunkelrote Hautflecken, die vor allem an den Oberschenkeln, am Gesäß sowie im unteren Bauch- und Lendenbereich auftreten.

Viele Betroffene entwickeln mit fortschreitendem Alter zudem Hörstörungen bis hin zum Hörverlust und dem Auftreten einer Schwerhörigkeit. Es kommt ferner nicht selten zum Tinnitus und/oder zu einem Hörsturz. Beteiligt sind bei der Erkrankung oft auch die Augen, wobei durch die Einlagerung von Gb3 charakteristische kleine gelbliche Linien auf der Hornhaut erscheinen. Sie sind mit bloßem Auge kaum wahrzunehmen und beeinträchtigen das Sehvermögen nicht. Jeder fünfte Patient mit Morbus Fabry entwickelt außerdem Lymphödeme.

Die Erkrankung geht nicht selten mit Fieberschüben einher und mit einer Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, was zum Teil schon im Kindes- und Jugendalter auffällig ist, ohne dass die Ursache der Einschränkungen bekannt ist. Viele Patienten mit Morbus Fabry leiden unter Depressionen, die aber nicht zuletzt auch eine Folge der belastenden Schmerzen, der massive Einschränkung der Lebensqualität und des oft enormen Leidensdrucks sein kann.

 

Organschädigungen bestimmen Symptome

Im weiteren Verlauf der Erkrankung treten Symptome der sich auf Organebene entwickelnden Funktionsdefizite hinzu. Es kann zur linksventrikulären Hypertrophie kommen, zu Reizleitungsstörungen und Arrhythmien, zu pectangionösen Beschwerden, einer Myokardischämie und zur Ausbildung einer Herzinsuffizienz mit entsprechenden Symptomen wie einer Dyspnoe und einer weiter eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit.

Die neurologischen Symptome können sowohl das periphere wie auch das zentrale Nervensystem betreffen. Gefürchtet sind vor allem die zerebrovaskulären Manifestationen der Erkrankung, die in neurologische Ausfälle und transitorisch ischämische Attacken (TIAs) münden können und letztlich in einen Schlaganfall des Patienten.

Sehr häufig ist beim Morbus Fabry zudem eine Nierenbeteiligung, wobei den Betroffenen schon früh Nierenschädigungen drohen. Sie manifestieren sich in frühen Jahren in einer Mikroalbuminurie. Bei Jugendlichen kommt es oft bereits zur Makroproteinurie und ohne adäquate Enzym-Ersatztherapie entwickelt sich im weiteren Verlauf nicht selten eine Niereninsuffizienz, die schließlich zur Notwendigkeit einer Dialysebehandlung oder einer Nierentransplantation führen kann.

Je nachdem welche Organe von der lysosomalen Speicherkrankheit am stärksten betroffen sind, wird von einer kardialen oder auch einer renalen Variante des Morbus Fabry gesprochen.

Die Symptomatik kann sich im Krankheitsverlauf zudem wandeln. So treten meist schon bei Kindern brennende Schmerzen in den Händen und Füßen auf, die als sehr stark erlebt werden und enorm belastend sind. Viele Kinder entwickeln die charakteristischen Hautflecken und Veränderungen der Augen wie die speichenradähnliche Hornhauttrübung, teilt die MFSH mit. Bei Jugendlichen werden die Hautflecken zahlreicher, und es kommt zu ersten Anzeichen einer Nierenschädigung. Auffällig wird im Jugendalter zudem meist eine gestörte Schweiß-Produktion und die Jugendlichen bekommen Probleme bei der Regulation der Körpertemperatur. Im Erwachsenenalter stehen dann allgemein Schmerzen, Kopfschmerzen sowie Fieberschübe und ein Tinnitus im Vordergrund.

 

Bei frühem Schlaganfall an den Morbus Fabry denken

Da der Schlaganfall eine häufige Komplikation beim Morbus Fabry darstellt, muss beim Auftreten eines Schlaganfalls in vergleichsweise jungem Alter immer an diese Form der lysosomalen Speicherkrankheit als mögliche Ursache gedacht werden. So wurde laut Rolfs in einer prospektiven Untersuchung bei 721 Patienten mit kryptogenem Schlaganfall zwischen dem 18. und 55. Lebensjahr bei knapp fünf Prozent der Männer und 2,4 Prozent der Frauen ein Morbus Fabry festgestellt. Das erklärt, warum Experten wie Dr. Tobias Böttcher aus Rostock bei allen jungen Patienten mit Schlaganfall ebenso wie bei allen Patienten mit entzündlicher Erkrankung des ZNS und bei neurologischen Defiziten in ungewöhnlich jungem Alter die Abklärung der lysosomalen Speicherkrankheit fordern.

Bestätigt sich die Verdachtsdiagnose, sollten auch die Nachfahren frühzeitig untersucht werden, da bei der therapierbaren Erkrankung den betroffenen Kindern durch rechtzeitige Enzym-Substitution erhebliche Beschwerden sowie Folgekomplikationen erspart werden können.

 

Von der Familienanamnese bis zum Gentest

Ergibt sich ein Verdacht auf einen Morbus Fabry, so kann dieser anhand der Familienanamnese erhärtet werden, zum Beispiel, wenn familiär gehäuft Herzerkrankungen, Schlaganfälle oder Nierenprobleme bekannt sind. Die Diagnose wird durch den Nachweis einer sehr niedrigen oder fehlenden Aktivität an Alpha-Galaktosidase gestellt. Bei Männern ist eine solche Diagnostik meist beweisend für die Erkrankung. Bei Frauen ist das Bestimmen der Enzymaktivität aber nicht ausreichend, da trotz deutlicher Symptome normale Enzymwerte erreicht werden können. Deshalb muss die Diagnose bei Frauen auf jeden Fall durch eine molekulargenetische Diagnostik gesichert werden.

Kommt es zur Schwangerschaft, so lässt sich bereits ab der 15. Schwangerschaftswoche im Rahmen einer Amniozentese oder einer Chorionzottenbiopsie feststellen, ob das Kind den Gendefekt aufweist oder nicht. Die pränatale Diagnostik ist sinnvoll, um im Fall des Falles frühzeitig eine Therapie einleiten zu können. Oft wird jedoch zu spät an die Möglichkeit eines Morbus Fabry gedacht. Daher haben die Patienten zumeist eine Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, ehe die richtige Diagnose gestellt wird.

Enzymersatz als zentrale Therapiemaßnahme

Da dem Morbus Fabry ein Enzymdefekt zugrunde liegt, besteht die zentrale therapeutische Maßnahme im Ersatz des Enzyms Alpha-Galaktosidase A über eine Infusionstherapie. Ziel der Maßnahme ist es, weiteren Organschädigungen entgegenzuwirken, die Symptomatik zu bessern und möglichst das seit Jahren eingelagerte Gb3 aus den Zellen wieder zu entfernen. Dies gelingt umso eher, je früher die Diagnose gestellt wird. Sind jedoch bereits Organveränderungen manifest, können diese oftmals nicht mehr rückgebildet werden.

Ist die Diagnose gestellt, sollten die Patienten zunächst an ein auf die Behandlung spezialisiertes Zentrum überwiesen werden. Dort erfolgt die weitere Abklärung, auch im Hinblick auf bereits bestehende Organschädigungen, sowie die Einstellung der Enzymersatztherapie. Die Infusionen werden in aller Regel im Abstand von zwei Wochen verabreicht. Nach etwa drei Monaten ist meist eine Weiterbehandlung durch den Hausarzt möglich, die jedoch in enger Kooperation mit dem Zentrum erfolgen sollte. Die Behandlung muss dabei lebenslang fortgeführt werden und es sind zudem regelmäßige Kontrolluntersuchungen des Herzens, der Hirngefäße und vor allem der Nieren erforderlich.

 

Christine Vetter

zm Online

https://www.zm-online.de/archiv/2011/01/medizin/morbus-fabry/